Über die Bedeutung von Banken. Interview mit Dr. André Ehlerding

Dr. André Ehlerding, Senior Partner bei zeb und Experte für Digitalisierung, über die Bedeutung von Banken in Zeiten der Digitalsierung

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Herr Ehlerding, wie wichtig sind eigentlich Banken? 
Ich glaube, dass Banken ihre Bedeutung für Kunden komplett überschätzen. 

Wie bitte? 
Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben – und zwar aus dem Geschäft mit Firmenkunden. Die Refinanzierungskosten sind so niedrig wie lange nicht mehr. Zinsen, Provisionen und Gebühren machen bei Unternehmen im Schnitt nur 1,5 Prozent ihrer Gesamtkosten aus. Damit spielen Banken aus der Kostenperspektive eines Firmenkunden kaum eine Rolle. Denn wenn Unternehmen Kosten drücken, ist es heute nicht der erste und auch nicht der zweite Gedanke, mit ihrem Bankberater über Konditionen zu sprechen. Da gibt es viele größere Hebel. Kommen wir noch zu einem anderen Aspekt: Nur 3 Prozent der Corporate-Kunden haben heute Schwierigkeiten, einen Kredit zu bekommen. Das war in und nach der Finanzmarktkrise anders, damals waren es 40 Prozent. Aber: Wenn ich kein Funding-Problem habe, worüber sollte ich dann mit meinem Bankberater reden? 

Und dieses Dilemma verschärft sich durch die zunehmende Digitalisierung – verbunden mit der Entpersonalisierung – weiter?
Richtig, immer mehr Interaktionen zwischen Kunde und Bank werden über digitale Plattformen abgewickelt. Dies ist übrigens im Kundeninteresse, da ich unabhängig von Öffnungszeiten und örtlicher Verfügbarkeit meiner Bank agieren kann. Das spart Zeit und Kosten – auf beiden Seiten. Aber es reduziert eben auch die Interaktionsfrequenz von Bank und Kunden – das gilt für jedes Kundensegment. Für die Bank heißt dies weniger Interaktion, aber auch weniger Wissen über den Kunden. Und weniger Wissen heißt weniger Anknüpfungspunkte für den Vertrieb von Produkten und Services. Und so sinkt die Bedeutung weiter und weiter – ausgehend davon natürlich, dass alle anderen Bedingungen gleich bleiben. In welcher Abwärtsspirale sie stecken, dessen sind sich viele Banken noch nicht bewusst. 

Wie kommt die Bank da heraus? 
Nur indem sie ihre Berater mit Wissen auflädt, das dem Kunden helfen kann oder ihm Entscheidungen erleichtert. Alles andere als Beratungskompetenz wird austauschbar. 

Das klingt nicht gut für die Banken.
Im Gegenteil: Ich sehe es als große Chance. Sie können all das loswerden, was wenig differenzierendes, transaktionales, aus Kundensicht banales und nur zeitraubendes Massengeschäft ist. Das so einfach und schnell wie möglich zu machen, es im Idealfall auf Plattformen zu übertragen und zu digitalisieren, darauf kommt es an. Davon entschlackt, sollte sich jede Bank überlegen, wo sie einen echten Mehrwert stiftet.

Hätten Sie einen Tipp?
Vielleicht sind das nicht nur eigene Leistungen. Gerade Mittelstandskunden sind an vielen Stellen in ihrer eigenen Geschäftstätigkeit auf eine Reihe von externen Dienstleistern angewiesen. Sie haben aber weder die Recherchekapazitäten, um die wirklich guten Lösungsanbieter zu finden, noch die Fähigkeiten zu beurteilen, ob diese auch verlässlich und sicher sind. Nehmen Sie Software zur Interaktion mit dem Steuerberater. Das sind hochsensitive Unternehmens-Financials. Die wenigsten Mittelständler entscheiden das nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Sie haben aber auch nicht die Zeit, 15 Anbieter zu vergleichen. Das wäre auch nicht effizient, weil sie meist die relevanten Kriterien gar nicht kennen. Anderes Beispiel: Als Mittelständler brauche ich für meine neue Homepage einen Webdesigner. Wo bekomme ich den her? Auch keine Kernkompetenz … Ich könnte am Stammtisch oder im Tennisverein fragen. Aber sind die Tipps da kompetent? Bei solchen Fragen können Banken helfen: Sie haben sowohl die relevanten Netzwerke als auch die notwendigen Recherchekapazitäten und das erforderliche Know-how in ihren IT-/Rechts- und Operationsbereichen. Und sie haben ein Kundenportfolio, auf das sie den Aufwand umlegen können. 

Und wie operationalisiere ich das als Bank dann? 
Warum baue ich nicht eine Plattform, auf der ich diese ganzen Dienste anbiete – „approved von der XYZ-Bank“? Der Mittelständler sagt: „Super Service – denn meiner Bank traue ich.“ So steigere ich als Bank meine Relevanz, weil ich den Kunden bei den Themen helfe, die sie im Alltag umtreiben. Auf die Art schafft solch ein Ökosystem eine ganz neue Form der Kundenbindung. Das ist für mich „Banking beyond Banking“. Dann bin ich eigentlich gar keine Bank im klassischen Sinne mehr, sondern werde zur Plattform. Die Strategie lohnt sich aus zeb-Sicht nicht nur für das Corporate- oder Retailgeschäft, sondern auch im Private Banking.

Die Konsequenz wäre eine massive Konzentration, oder? Denn wie viele dieser Plattformen braucht es? 
Gegenthese: Digitale Technologien machen es möglich, wieder sehr stark regional zu agieren. Viele Banken vor Ort haben ihr Netzwerk aus Mittelstandskunden, die aus guten Gründen Kunden genau dieses Instituts sind. Die Kunden wiederum haben regionale Lieferanten und Abnehmer. Regional auftreten, national oder sogar international vernetzen – das sollte das Motto sein.Insbesondere Sparkassen oder Genossenschaftsbanken können über ihre Finanzgruppen guten Gewissens sagen, dass sie bundesweit Services anbieten – bis zum Webdesigner aus Hamburg für den Mittelständler aus dem Breisgau. Den kennt der Bankberater im Süden natürlich nicht, aber die Haspa oder die Hamburger Volksbank kennen ihn. Regionale und nationale Vernetzung plus lokale Kundenkompetenz – das ist der besondere Mehrwert. 

Wer baut und betreibt eine solche Plattform? 
Das muss nicht unbedingt die lokale Bank sein. Gerade bei Sparkassen oder Genossenschaftsbanken kann ich mir gut vorstellen, dass das über ihre Finanzgruppen läuft. Das macht sie extrem wettbewerbsfähig gegenüber Großbanken und schafft kundenseitig Skaleneffekte. Denn – und da stimmt die Marktbereinigungsthese natürlich – ohne Größe keine Synergien. 

Schaffen Banken diesen radikalen „Shift“ im Kopf mit dem heutigen Personal? Vor allem mit dem heutigen Führungspersonal? 
Die Antwort gibt unser Digital Pulse Check : Haben wir digitale Führungskräfte, die erkannt haben, dass es Veränderung braucht? Und zwar in puncto Technologie genauso wie bei den Organisationsformen und der Zusammenarbeit?

Und wie lautet die Antwort?
Nein, die haben wir noch nicht. Das sagen mir Führungskräfte sogar selbst. Aber ich bin sicher, dass der steigende Druck entweder zu Veränderungen bei den handelnden Personen führen wird oder die handelnden Personen sich verändern werden. Wer sich nicht verändert, wird verschwinden – das geben wir unseren Kunden sehr deutlich mit. 

Was bedeutet dieser Wandel für die Personalplanung bei Banken?
Einen Teil der Menschen, die ich heute brauche, werde ich zukünftig nicht mehr brauchen – etwa die vielen Sachbearbeiter. Da hilft mir aber die Demografie. Die meisten Banken schieben einen großen Babyboomerbauch vor sich her. Eine viel größere Herausforderung ist es, neue Profile zu entwickeln. Mit vielen Banken arbeiten wir daran, diese innerhalb der Organisation zu finden und auszubauen. Der zweite Hebel ist die Veränderung der Organisationsstrukturen  – von Silos hin zu funktionsübergreifenden Teams, in denen Menschen aus IT, Operations, Produkt und Vertrieb gemeinsam am selben Problem arbeiten. Das beschleunigt die Prozesse enorm und erhöht die Arbeitszufriedenheit. 

Was machen Sie dann mit der Aufbauorganisation?
Die ist in der Tat in den allermeisten Fällen ganz anders geschnitten und steht der Veränderung in dieser Form eher im Weg. Denn wenn ich meine funktionsübergreifend erarbeiteten Ergebnisse am Ende vor einem Lenkungsausschuss rechtfertigen muss, der den Prozess nicht begleitet hat und in dem jeder Vorstand mit seinem Bereichsegoismus nur für sein Ressort denkt, gehen Schnelligkeit und Agilität wieder verloren. Es wäre doch toll, wenn ich nur mit einem Vorstand reden müsste. 

Gibt es Banken, die schon so denken?
Das ist das Modell, das die Commerzbank gerade baut und wobei wir sie unterstützen. 

Was bedeutet das für Führungsetage und Führungsorganisation?
Es gibt weiterhin Vorstände. Was wir neu schneiden, sind die Zuständigkeiten: Der IT-Vorstand hat, als radikalstes Beispiel, keinen Durchgriff mehr auf einzelne IT-Systeme. Er ist verantwortlich für eine einheitliche und übergreifende Prozess- und IT-Architektur, setzt praktisch die Spielregeln fest, damit es keinen Wildwuchs gibt. Die Systeme unterliegen aber der Governance der Fachbereiche, etwa dem Bereich Kredit. Dieser ist gesamthaft zuständig: für Produkt, IT, Operations. Wir lösen die querschnittliche Verantwortlichkeit auf, in der man immer Ausreden hatte, warum Themen nicht vorangegangen sind. Mal konnte eine andere Querschnittsfunktion wie die IT nicht liefern, mal fanden die Ops-Kolleginnen und -Kollegen die Prozesse ungeschickt oder das Risikoteam hatte rechtliche Einwände. Das System kippe ich um 90 Grad. Ich bekomme einen viel kleineren Ausschnitt, aber den dann komplett – von der strategischen Idee bis zur operativen Umsetzung. Nur so komme ich in eine kundenzentrierte Logik. 
 

 

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„Wenn die Bank ihre Kunden auch bei bankfernen Themen unterstützt, schafft sie eine neue Form der Kundenbindung. Das ist für mich Banking beyond Banking: Dann bin ich eigentlich gar keine Bank im klassischen Sinne mehr, sondern werde zur Plattform.“

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