„Nachhaltigkeit in der Finanzierung – das ist für uns kein Differenzierungsmerkmal“, sagte neulich der CEO einer deutschen Bank. Die Anforderungen seitens des Markts, der Politik und der Aufsicht setze sein Institut natürlich um. Aber das machten ja alle so.
Die Wahrheit ist – leider – eine andere: Zwar wird allgegenwärtig über die große Transformation der Wirtschaft geredet, über den New Green Deal, über gigantische Investitionsvolumina. Es entsteht der Eindruck, als wären wir längst auf dem richtigen Weg.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch: In der deutschen Bankenlandschaft gibt es einige Vorreiter; die Masse der Institute ist aber nicht gut vorbereitet auf das „next big thing“.
Das war auch der Tenor unseres jüngsten Treffens des Netzwerks zeb.Great Women zum Thema „Nachhaltigkeit als Verpflichtung und Chance“.
Wo stehen wir? Ein Produzent von Braunkohle wird sich noch so sehr anstrengen können, sein Business bleibt ein „braunes“ Unternehmen. Das betrifft etwa 5 Prozent unserer Wirtschaft. In etwa gleichem Umfang registrieren wir bereits grüne Firmen – die Erzeuger von Strom aus Windkraft seien hier beispielhaft genannt. Das Gros von 90 Prozent der deutschen Wirtschaft steht aber vor einer mehr oder weniger umfangreichen Transition hin zu einer nachhaltigeren Produktion – also klimaneutral, ressourcenschonend, sozial verantwortlich und auf Basis guter Unternehmensführung (Environmental, Social, Governance – ESG).
Für diese große Transformation rechnen wir europaweit mit einem notwendigen Investitionsvolumen von jährlich 1.100 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt hatte in Zeiten vor Corona etwa ein Volumen von 350 Milliarden Euro, davon waren etwa 38 Milliarden Euro Investitionen. Allein Firmenkunden – vom Konzern bis zum Kleinunternehmer – werden einen Finanzierungsbedarf von 900 Milliarden Euro zu verzeichnen haben. Wer die Klimawende will, wird enormes Kapital mobilisieren müssen. Der New Green Deal ist ein riesiges Investitionsprogramm. Oder wie der Sustainable-Finance-Beirat der Bundesregierung seinen letzten Bericht so schön betitelte: „Shifting the Trillions“.
Neun von zehn Unternehmen müssen sich ändern
Weniger als ein Prozent echte Zukunftsgestalter
Damit aber die Kapitalströme richtig gelenkt werden können, bedarf es eines leistungsfähigen Finanzdienstleistungssektors. Dieser muss vorbereitet sein, grüne von braunen Investments zu unterscheiden, die Mittel richtig zu allozieren und die Risiken zu managen. Es braucht die auf Nachhaltigkeit ausgelegten Produkte, die Datenexpertise, die Ratings – letztlich Know-how und Prozesse, um die Chancen für die Gesellschaft und die Wirtschaft – gerade auch für die Finanzdienstleister – zu nutzen. „Banken müssen in eine Null-Emissionen-Wirtschaft investieren“, hat die Energieökonomin Prof. Dr. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) passend dazu bei zeb.great women gefordert. „Sie sollten Gelder nur noch für zukunftsträchtige Geschäftsmodelle bereitstellen.“
Vom New Green Deal ist die Branche jedoch weit entfernt:
Nach unseren Erkenntnissen sind weniger als 1 Prozent der Kreditinstitute echte Pioniere oder Zukunftsgestalter in puncto ESG; nochmals etwa 1 Prozent hat ein ganzheitlich auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Geschäftsmodell. Das sind die obersten beiden Stufen unserer Fünfer-Skala.
Fast alle Institute schaffen es noch nicht dorthin: Rund 40 Prozent der Banken und Sparkassen bieten – Stufe drei – nachhaltige Produkte an. Etwa 50 Prozent können bisher nur Einzelmaßnahmen vorweisen. Die verbleibenden rund 10 Prozent auf der untersten Stufe verfügen nur über ein Minimum an Corporate Social Responsibility. Das zeigt: Der Reifegrad für die ESG-Integration ins Kerngeschäft hat noch viel Luft nach oben, um es wohlwollend auszudrücken.
Es wird viel Arbeit auf die Banken zukommen. Seit März gilt die Offenlegungsverordnung. Finanzunternehmen müssen seitdem belegen, wie nachhaltig ihre Angebote sind. Das ist nur die regulatorische Ouvertüre für viele weitere Anforderungen, die seitens der Aufsicht kommen werden. Aber auch Marktteilnehmer werden künftig mehr Informationen wünschen, um nachhaltig anlegen zu können. Wie massiv das zum Beispiel für Privatkunden in Deutschland gilt, steht in unserer aktuellen zeb Nachhaltigkeitsstudie.
ESG bietet aber auch Chancen. Wir rechnen – konservativ geschätzt – in Europa mit einem zusätzlichen Ertragsvolumen von 28 Milliarden Euro pro Jahr. Hier sind also signifikante Marktpotenziale zu heben, die eine Option darstellen können, den bestehenden Ergebnisdruck zu mindern. Dabei wird jedes Haus seine eigene strategische Positionierung und Ambition klar definieren müssen – je ganzheitlicher, desto ambitionierter!
ESG macht Arbeit … ist aber auch eine Chance
Es braucht Mut und Haltung
Solche Projekte lassen sich nicht „Bottom-up“ umsetzen. Sie werden auf Vorstandsebene vorangetrieben werden müssen. Denn: „Nur wo das Auge des Herrn ruht, gedeiht das Vieh“, um einmal den Lieblingsspruch des früheren Siemens-Chefs von Pierer zu zitieren. Und es wird Mut und Haltung brauchen, die Häuser auf Nachhaltigkeit zu trimmen. Dabei bedarf es eines klaren Zielsystems, einer laufenden Steuerung und eindeutigen Governance.
Europa wird 2050 klimaneutral sein. Es muss. Der Weltrisikobericht 2021 ordnet sechs der zehn wichtigsten Risiken unserer Zeit Nachhaltigkeitsrisiken zu. Der Umgang damit erfordert nicht bloß ein partielles Umdenken in einzelnen Wirtschaftsbereichen. „Eine erfolgreiche Wirtschaft braucht ein nachhaltiges und damit zukunftsfähiges Finanzsystem“, schreibt der Sustainable-Finance-Beirat. „Unsere Wettbewerbsfähigkeit lässt sich nur sichern, wenn wir die wirtschaftliche Transformation finanzieren, die uns morgen eine gute Weltmarktposition verspricht – und die kompatibel mit dem 1,5-°C-Ziel des Pariser Klimaabkommens sowie den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen ist.“