Die erste Hektik hat sich gelegt. Aus jungen Herausforderern in der Versicherungsbranche haben sich viele Startups, InsurTechs, zu Partnern und Dienstleistern entwickelt. Die Etablierten wiederum haben mit einer Strategie des Fast Following Anschluss an die Digitalisierung gehalten. Am Horizont dräut aber der Einstieg der BigTechs und der Trend zur Plattformökonomie die Branche ganz gewaltig durcheinander zu wirbeln – Zeit für eine Bestandsaufnahme in den Zeitdimensionen 2010 bis heute, Status, Ausblick auf 2030. Der Sparkassen Innovation Hub, id-fabrik und die Strategie- und Managementberatung zeb haben gemeinsam eine Studie erstellt: "The changing shape of digital insurance".
Die Startups sind vor einigen Jahren mit großen Ansprüchen angetreten, die Versicherungsbranche zu „disrupten”. Was ist davon übrig geblieben?
DR. JAN HENDRIK SOHL: Nicht alles ist eingetreten, womit die Challenger angetreten sind. Viele wollten die Kundenschnittstelle im Bereich B2C besetzen. Mittlerweile sehen wir doch eine Verlagerung hin zum B2B-Bereich. Es wird jetzt versucht, an verschiedenen Teilen der Wertschöpfungskette zu partizipieren. Auf der anderen Seite haben sich die Etablierten auf die neuen Marktteilnehmer eingestellt. Dynamisch bleibt der Markt gleichwohl.
Was macht die Challenger dennoch so besonders?
Am Geschäftsmodell Versicherung hat sich wenig verändert. Auch gab es kaum Innovationen bei den Produkten. Produkte und Deckung sind im Kern gleich. Eine Hausratversicherung ist eine Hausratversicherung geblieben. Wo die Herausforderer bislang aber immer noch deutlich die Nase vorn haben, ist die User Experience. Das haben die Versicherer bislang oft nicht so gut hinbekommen. Manches haben die InsurTechs für den Kunden einfacher und transparenter gemacht, etwa durch tägliche Kündigungsmöglichkeiten. Derartige Schmerzpunkte beim Kunden sind die neuen Player gezielt angegangen.
Der Vertrieb ist ein zentrales Element der Versicherungsbranche. Konnten die Herausforderer hier Boden gutmachen?
Viele der neuen Digitalversicherer sind angetreten, den persönlichen Vertrieb ersetzen zu wollen. Allerdings ist der Direktvertrieb nicht so stark gewachsen wie erwartet. Auch die Neuen haben sich herkömmlicher Wege bedient und vertreiben Versicherungen über etablierte Vertriebskanäle wie Makler oder Vergleichsplattformen.
Ist bei den Etablierten eine allgemeine Strategie für den Umgang mit den Herausforderern erkennbar?
Ja, die Etablierten haben sich gut eingestellt. In unserer Studie haben wir klar eine Strategie erkennen können, die weit etabliert ist, die des Fast Following. Also: Die Innovationen entstehen zwar nicht dort, werden aber schnell adaptiert, wenn sie sich als markttauglich erwiesen haben. Innovationen sehen wir vor allem in punktuellen Ergänzungen der Wertschöpfungskette – sowohl mit alten Playern als auch neuen, vor allem aber dann, wenn Technik und Versicherungs-Know-how sinnvoll zusammengebracht werden.
Gilt auch für die Versicherungsbranche: Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert?
Die Kernthese der digitalen Transformation, wonach alles digitalisiert wird, was digitalisiert werden kann, gilt auch hier. Aber: Alles ist digital … außer dem Vertrauen. Und alle Studien belegen: Verkauf hat mit Vertrauen zu tun. Bestimmte Standardprozesse können von Chatbots oder ähnlichen Tools übernommen werden, aber Menschen spielen weiter eine wichtige Rolle und sei es per Videocall, wie wir es in der Zeit des ersten Lockdowns erlebt haben.
Wenn schon die InsurTechs nicht die Versicherungsbranchen umgewälzt haben, ist das durch die BigTechs zu erwarten?
Die GAFAM, also Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, hängen wie ein Damoklesschwert über der Branche. Insbesondere Amazon und Google stellen ein großes Bedrohungspotenzial dar. Das muss nicht zwangsläufig in Form einer eigenen Versicherungstochter sein, sondern etwa als Vermittler über Plattformen.
Werden wir in zehn Jahren noch die heutige Versicherungslandschaft sehen?
Die Versicherung selbst wird als Geschäftsmodell neu sortiert – Stichwort „Plattformökonomie”. Versicherungsleistungen werden mehr und mehr in andere Kontexte einbezogen, also Bestandteil anderer Leistungen. In dieser Gemengelage werden Versicherungen ihre Positionierung finden müssen, entscheiden, ob sie eine eigene Plattform etablieren, Teil einer anderen Plattform werden oder sich einen neuen Platz in der Wertschöpfungskette suchen.