Ein Kulturwandel ist wie eine lange Reise

Und wir sind die Begleitung für die Startphase. Das sagt Christian von Schirach, Senior Manager, im Interview. 

Team baut Turm


Ertragsstarke Banken und Versicherungen weisen eine andere Unternehmenskultur auf als die Low-Performer der Branche: Es ist eine spezielle Erfolgskultur. Was diese konkret ausmacht, hat zeb in der Transformationsstudie 2022 erhoben – bei 150 Unternehmen der Finanzindustrie im deutschsprachigen Raum, die jeweils 30 Kriterien auf einer Skala von 0 bis 100 für ihr Haus bewertet haben. Überraschend dabei war, wie groß die Unterschiede bei einigen Parametern sind. Das erläutert Studienautor und Senior Manager Christian von Schirach im Interview. 

Bei erfolgreichen Teams wird manchmal vom Sieger-Gen gesprochen. Nun ist Erfolg vielleicht weniger auf genetische Ursachen zurückzuführen, aber gibt es so etwas wie eine Erfolgskultur und wie wäre sie definiert?

Kultur wirkt auf Kundenorientierung sowie auf Veränderungsfähigkeit und hat über diese zwei Größen unmittelbaren Einfluss auf die Rentabilität. Erfolgskultur beinhaltet heutzutage beispielsweise ein anderes Verständnis von Führung und eine Verlagerung von Verantwortung auf das gesamte Team. Dadurch entsteht ein breiteres Verständnis und eine höhere Identifikation der Mitarbeitenden mit den Zielen des Unternehmens. 

Wodurch wurde Kultur überhaupt zum Management-Thema?
Der erste wesentliche Impuls war das Aufkommen agiler Methoden, weil damit schneller auf Ansprüche der Märkte reagiert werden konnte. Das hatte natürlich auch Folgen für die Unternehmenskultur. Der zweite große Schub war Corona und die damit verbundene, oftmals komplette Veränderung von Arbeitsorganisationen. Diese zwei Wellen haben sich überlagert und damit verstärkt. Es war also ein starker externer Impuls.

Muss dieser Impuls in den Unternehmen denn dann überhaupt noch – etwa durch spezielle Projekte – verstärkt werden?

Wie jeder Mensch, so hat auch ein Unternehmen ein gewisses Trägheitsmoment. Zudem neigen Systeme dazu, immer wieder in frühere Stadien zurückzufallen, in alte Strukturen. Ein Unternehmen tut also gut daran, den Impuls aufzugreifen und die eingeleiteten Veränderungen vielfältig zu fördern. 

Was steht dem Wandel entgegen?

Wir waren lange erfolgreich, aber die alten Strukturen sind heute nicht mehr geeignet und perspektivisch noch viel weniger. Veränderungen auf den Märkten werden schneller kommen, und dafür braucht es auch kreative Köpfe. Die Mitwirkungs- und Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden wird zum Erfolgsfaktor, genauso wie die passende Führung auf Distanz. Wer sich jetzt nicht bewegt, der wird im Wettbewerb zurückfallen.

Das hört sich nach unterschiedlichen weichen Faktoren an. Wie werden diese greifbar?

Das geht zum Beispiel sehr gut durch kleine digitale Formate. Der CEO einer Versicherung berichtete mir erst vor Kurzem, dass er täglich als Erstes auf den eNPS schaue – den Employee Net Promoter Score. Der wird bei einem wechselnden Teil seiner Belegschaft jeden Werktag erfragt: Würde man das Unternehmen als Arbeitgeber weiterempfehlen? Über entsprechende Zeitreihen lassen sich da klare Trends ablesen. Das ist wie eine Fieberkurve. Für diesen CEO ist der eNPS der zentrale Entscheidungsindikator für Maßnahmen zum Thema Führung.

Bei der zeb.Transformationsstudie wurde gerade erst abgefragt, welche Maßnahmen gut wirken. Gab es Überraschungen?

Mich hat weniger überrascht, was wirkt, sondern mehr, was offenbar wirkungslos ist. Nur sieben Prozent der befragten Unternehmen – und das waren immerhin über 150 – sind der Meinung, dass ihr variables Vergütungssystem in irgendeiner Weise einen Motivationsanreiz auslöst. Dabei ist zu beachten, was für einen Riesenaufwand gerade große Unternehmen mit Zielvereinbarungen, Messungen und Jahresabschlussgesprächen betreiben. Und dann werden in der Regel zwischen 98 und 102 Prozent des Bonus ausgezahlt – formal sauber, aber faktisch wirkungslos.

Wenn der individuelle Bonus als Anreiz nicht funktioniert – was ist die Alternative?

Offenheit im Team, Transparenz, Wissen teilen, Vertrauen und Einbindung des ganzen Teams – das sind lohnende Ziele. Die Einführung von agilen Formaten finde ich extrem sinnvoll – sich in Teams über die Arbeitsweise auszutauschen, mal von den Ergebnissen Abstand zu nehmen und sich allein zu fragen: Wie funktionieren wir als Team und was können wir besser machen? All das sind Signale der Wertschätzung an die Mitarbeitenden, dass sie gehört werden, liefert gleichzeitig extrem wertvolle Impulse für die Zusammenarbeit und torpediert eher längerfristige Ziele. Und das ist gut so, weil längerfristige Ziele auf Ebene der Mitarbeitenden ein Widerspruch in sich sind. 

Worin besteht dieser?

Ich denke da an OKR, also Objectives and Key Results. Wenn ich danach steuere, dann bewege ich mich in Zyklen von drei oder vier Monaten. Dann reden wir über zeitnahe Ziele bzw. Ergebnisse und deren Erreichung. Das stärkt die Identifikation deutlich mit dem, was ich eigentlich tue, da ich im Team immer wieder im Austausch darüber bin – über die Ergebnisse, die ich erreichen kann und die ich erreicht habe. Das ist eine ganz andere Sache, als wenn ich über Jahresziele spreche, die der/die einzelne Mitarbeiter/-in als für sich kaum beeinflussbar ansieht. Darum haben wir in der Transformationsstudie dem Thema Ziele eine hohe Bedeutung beigemessen. 

Mit Blick auf die gesamte Studie: Zu welchen Maßnahmen ist unbedingt zu raten?

Erstens: Ich muss oben anfangen. Der Vorstand muss das Thema Kultur als relevant ansehen und sich regelmäßig damit beschäftigen. Und auch unterhalb des Vorstands braucht es eine klare Verantwortung und eine aktive Bearbeitung des Themas – in der Regel durch den HR-Bereich. Zweitens funktioniert es generell nicht, wenn ich halbherzig agiere. Insgesamt haben wir sieben Elemente herausgearbeitet (s. „Take-aways“).

Gibt es auf diesem Weg besondere Schritte, die zu beachten sind?

Die Signale sind teilweise klein, aber eben von hoher Symbolkraft. In einer Bank hatte der Vorstand entschieden, die Krawatten abzulegen – der Klassiker. Die Vorstände waren sich völlig einig bei der Bedeutung des Themas Kultur, nur ein Vorstand wollte eben gerne weiter Krawatte tragen. Das Ergebnis war: Die 1.600 Mitarbeitenden nahmen das natürlich wahr und interpretierten es dahingehend, dass sich der Vorstand beim Kulturthema nicht einig ist – kleine Stilfrage, großer Schaden.

Welche Überraschungen – außer dem fragwürdigen Nutzen von Bonussystemen – hat die Studie noch erbracht?

Überraschend war auch die Spreizung bei den Kennzahlen, was erfolgreiche Unternehmen der Branche von weniger erfolgreichen unterscheidet. Die Bewertung erfolgte auf einer Skala von 0 bis 100. Low- und High-Performer lagen dabei teilweise 60 bis 70 Punkte entfernt voneinander. Diese Spanne ist schon extrem groß. 

Ich greife mal ein Element heraus: die Entwicklung von Führungskompetenz und das kontinuierliche Arbeiten daran. Damit ist nicht gemeint, mit der Gießkanne Trainings anzubieten. Es geht darum, Führungskräfte gemeinsam mit ihren Teams in den Geschäftsbereichen zu schulen, also am konkreten Arbeitsobjekt. Wir haben dem Thema Führungsarbeit dann besondere Beachtung geschenkt und festgestellt, dass es auf alle Untersuchungselemente positiv ausstrahlt. Also: Die Investition in die Führungskompetenz ist hochgradig lohnend.

Wie kommen die „Geführten“, also die Mitarbeitenden, mit dieser neuen Führungskultur zurecht?

Die Belegschaft ist nie homogen und reagiert immer vielfältig auf die veränderten Umstände. Wir haben uns zum Beispiel in einzelnen Projekten die Veränderung der Produktivität durch das hybride Arbeiten angeschaut. Bei manchen Mitarbeitenden ist die Produktivität um bis zu 50 Prozent gestiegen. Gleichzeitig ist sie bei anderen um 50 Prozent gefallen. Selbstorganisation oder Übernahme von mehr Verantwortung sind sehr individuelle Themen. 

Es zeigt aber auch deutlich, dass Organisationen hier ein enormes Potenzial haben. Es gibt schließlich Mitarbeitende, die um 50 Prozent produktiver werden. Die Organisationen müssen jetzt erkennen, was genau dazu führt, dass einige produktiver werden, und was getan werden muss, um die Risiken nach unten abzufedern. Das ist ein Lernprozess.

Beinhaltet das auch Leistungskontrollen – ein schwieriges Thema aus dem Blickwinkel der Mitbestimmung?

Ja, ein oftmals schwieriges Thema. Der Umgang damit ist unterschiedlich. Häufig gibt es da in der Mitbestimmung eine stahlharte Front gegen die Leistungsmessung. Aber wir haben tatsächlich auch einen Kunden, der in bestimmten Bereichen und gemeinsam mit der Mitbestimmung vereinbart hat, hohe Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsorts zu gewähren und im Gegenzug eine personenbezogene Leistungsmessung einzuführen. Und ein zweiter Kunde, ebenfalls eine Versicherung, diskutiert derzeit über die Wiedereinführung des Samstags als Arbeitstag.

Das wäre vor zwei Jahren völlig undenkbar gewesen, und jetzt verhandeln Vorstand und Betriebsrat intensiv darüber, weil auch viele Mitarbeitende sagen: Für mehr Flexibilität würde ich lieber auch am Samstag arbeiten. Der Wunsch kommt oft aus Teilen der Belegschaft. Es ist für Betriebsräte und Personalräte im Moment eine extreme Herausforderung, weil der Druck von zwei Seiten kommt und auch völlig neue Lösungen denkbar sind.

Auf einer Skala von eins bis zehn, wobei der höchste Wert für maximale Veränderungsbereitschaft steht – wo befinden sich Banken und Versicherungen?

Ich gebe den Branchen eine drei.

Kurz und knapp: Was leistet zeb im Projekt move?

Wir gehen mit den Unternehmen auf eine lange Reise. Transformation braucht Zeit und nachhaltiges Vorgehen. Wir begleiten die Unternehmen am Anfang dieser Reise und befähigen sie, diese dann eigenständig fortzusetzen.

 

Take-aways Transformationsstudie 
•    Erfolgskultur als messbares Vorstandsthema
•    Operative Verantwortung für Erfolgskultur
•    HR-Instrumente konsequent ausrichten
•    Unternehmensweites Arbeiten an der Erfolgskultur
•    Zielerreichung kontinuierlich im Blick haben und kommunizieren
•    Konsequente Führungsarbeit
•    Objectives and Key Results (OKR) als Zielsystematik

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Die nachhaltige Veränderung komplexer Systeme erfordert ein attraktives Zielbild, hohen Aufwand und Zeit.“

Christian von Schirach,  Senior Manager, zeb