Vorstand auf Zeit – ein Perspektivwechsel

Prof. Dr. Nadine Gatzert ist seit 2009 Inhaberin des Lehrstuhls für Versicherungswirtschaft und Risikomanagement an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und Aktuarin (DAV) sowie Vorstandsvorsitzende von Forum V, dem Kompetenzzentrum und Fördernetzwerk für die Versicherungswissenschaft und -wirtschaft in Nordbayern.

 

Im Interview spricht sie über ihr Planspiel, im Rahmen dessen Teilnehmende die wert- und risikoorientierte Steuerung eines Versicherungsunternehmens in der Rolle des Vorstandes erleben können.

Das Interview führte Svea Brömel, Managerin bei zeb.

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Frau Prof. Gatzert, wie ist die Idee für das Planspiel entstanden und was bringt es den Teilnehmenden?

NADINE GATZERT: Nachdem ich den Lehrstuhl an der FAU in Nürnberg übernommen hatte, war es mir wichtig, die theoretischen Konzepte der wert- und risikoorientierten Steuerung etwas realitätsnäher erlebbar zu machen. So wollte ich es ermöglichen, in Lehre und Weiterbildung ein besseres und tieferes Verständnis für den Umgang mit Steuerungsgrößen in Versicherungsunternehmen zu vermitteln. Daneben ging es auch um den Umgang mit Komplexität. Das Planspiel umfasst viele Steuerungsvariablen mit komplexen Interaktionen sowie diverse makroökonomische Einflüsse. Last but not least sollen Teilnehmende in der Simulation die Zusammenarbeit in einem gut funktionierenden Vorstandsteam als «weichen» Erfolgsfaktor für die Steuerung kennenlernen.

Inhaltlich geht es darum, dass die Teilnehmenden im Rahmen des Planspiels einen Konzern bestehend aus einem Lebens- und Nichtlebensversicherer über mehrere herausfordernde Geschäftsjahre steuern. Es können Kapitalmarkt-Crashs, neue Wettbewerber, Naturkatastrophen oder Pandemien auftreten. Ziel ist es, in diesem herausfordernden Umfeld profitabel zu wachsen und dabei ein ausreichend hohes Sicherheitsniveau gemäß Solvency II einzuhalten – d. h. die eingegangenen Risiken ausreichend mit Eigenkapital zu hinterlegen. Das ist natürlich nicht trivial und von erheblichen Spannungsfeldern geprägt, mit denen die Vorstandsteams umgehen müssen. 

Der Fokus des Planspiels sollte explizit auf der wert- und risikoorientierten Steuerung liegen, und die Teilnehmenden sollten als Vorstände ihre Entscheidungen zunächst über stochastische Szenarien mit der «F9-Taste» überprüfen können, bevor sie final Beschlüsse fassen – also ähnlich wie in der Realität. 


Sie haben das Planspiel in den vergangenen Monaten zwei Mal mit zeb-Mitarbeitenden aus dem Bereich Versicherungen, zeb Insure, durchgeführt.  Wie kam es zu der Kooperation mit unserem Unternehmen?

NADINE GATZERT: zeb ist Mitglied in unserem Kompetenzzentrum und Fördernetzwerk Forum V. Forum V fördert die Lehre und Forschung an den beteiligten Hochschulen, und bietet außerdem verschiedene Weiterbildungsveranstaltungen an. Bei einer unserer Beiratssitzungen hatte ich in diesem Zusammenhang auch die Unternehmenssimulation als Planspiel zur wert- und risikoorientierten Steuerung vorgestellt, woraufhin Dieter Kipp direkt Interesse gezeigt hat. Das hat uns sehr gefreut, zumal mir die Durchführung der Simulation mit den zeb-Teams dann auch sehr viel Spaß gemacht hat. Das waren sehr kompetente Gruppen, die wirklich sehr gute Ergebnisse erzielt haben.

 

 

„Das Planspiel soll Zusammenhänge zwischen verschiedenen Funktionen und Verantwortungsbereichen bei einem Versicherer erlebbar machen - und den fachlichen Austausch unserer Mitarbeitenden mit ihren Peers fördern.“

Dieter Kipp, Partner bei zeb Insure und Initiator für das Planspiel

 

Dieter, warum war es dir wichtig, unseren Mitarbeitenden die Gelegenheit zu geben an dem Planspiel teilzunehmen?

DIETER KIPP: Ich habe mir von dem Planspiel versprochen, dass Mitarbeitende aus unseren Versicherungsteam die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Funktionen und Verantwortungsbereichen bei einem Versicherer sowie die Wirkungen aus marktlichen Entwicklungen konkret erleben und besser verstehen. Zudem nehme ich wahr, dass viele Mitarbeitende seit der Coronazeit isolierter arbeiten und so der fachliche Austausch und die inhaltliche Auseinandersetzung mit Peers oftmals zu kurz gekommen ist. Dem wollte ich durch das Planspiel etwas entgegensetzen. Letztlich kann ich nach zwei Planspieldurchführungen sagen, dass meine Erwartungen an Teilnehmerresonanz und Erkenntnisgewinn übertroffen wurden. Daher haben wir das Planspiel zu einer regelmässigen Veranstaltung in unserem Bildungsangebot gemacht.

 

Frau Gatzert, eine Frage interessiert uns natürlich sehr – hatten Sie bereits Anfragen von Vorständen, an der Simulation teilzunehmen?

NADINE GATZERT: Nein, bisher nicht. Es haben zwar schon verschiedene Teilnehmer später Vorstandsposten angenommen – die die Simulation übrigens auch sehr gut gemeistert hatten - aber aktive Vorstandsteams in der Simulation zu erleben wäre in der Tat spannend. Unter Forschungsgesichtspunkten würde mich vor allem deren Umgang mit den Herausforderungen in der Simulation interessieren, und wie die Zusammenarbeit im Team funktioniert.

 

Worin sehen Sie den größten Mehrwert für die Teilnehmenden?

NADINE GATZERT: Der größte Mehrwert entsteht aus einem deutlich besseren Verständnis für Steuerungsmöglichkeiten in Versicherungsunternehmen und deren Zusammenhänge. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass die Steuerung eines Versicherungskonzerns in einem komplexen Umfeld mit vielfältigen Interaktionen innerhalb des Unternehmens – und mit der Umwelt – in einem gut funktionierenden Vorstandsteam mit klar festgelegten Verantwortlichkeiten und Prozessen erfolgreicher funktioniert.

 

 

„Ich habe gelernt, Fragestellungen mehr im Gesamtkontext der Versicherung zu sehen und weniger isoliert für den entsprechenden Bereich.”

Franziska Händel, Managerin bei zeb & Teilnehmerin des Planspiels

 

Franziska, wie hast du als Teilnehmerin der zweiten Gruppe das zweitägige Planspiel erlebt? Welche Erkenntnisse nimmst du für dich mit in den Berateralltag?

FRANZISKA HÄNDEL: Die zwei Tage vergingen für mich wie im Flug. Das Planspiel umfasst alles, was ich von einem guten fachlichen Seminar erwarte. Beginnend bei einer vollumfänglichen Auffrischung des Basis-Versicherungswissen, über die Verdeutlichung der Komplexität des Geschäftsmodell Versicherung anhand eines kompetitiven Spiels auf der Grundlage eines sehr fundierten Simulationstools, bis hin zu sehr interessanten Diskussionsrunden zu den in der Simulation getroffenen Entscheidungen – aber auch zu aktuell relevanten Problemstellungen in der Versicherungsbranche.

Mein persönliches Highlight waren die Momente, an denen alle Teams nach den Strategieplanungen zusammenkamen, um das entsprechende Geschäftsjahr auszuwerten. Was ist tatsächlich in dem Geschäftsjahr passiert? Stimmen unsere Prognosen? Haben wir unser Kapital richtig verteilt? Erfüllen wir die Solvenzquote? Waren wir zu risikoavers? Welche Strategie haben die anderen Teams verfolgt? Diese Fragen schwirrten mir immer kurz vor der Auflösung im Kopf herum. Das ein oder andere Schmunzeln von Frau Prof. Gatzert verriet meistens schon, dass uns nicht gefallen wird, was tatsächlich im Geschäftsjahr passiert ist und dass unsere Strategie vielleicht nicht 100%ig aufgehen wird.

Die Komplexität und das Zusammenspiel der einzelnen Bereiche wie Vertrieb, Kapitalanlage, HR und regulatorisches Berichtswesen wurde durch das Planspiel sehr gut greifbar gemacht. Das nehme ich auch in meinen Berateralltag mit und versuche, Fragestellungen mehr im Gesamtkontext der Versicherung zu sehen und weniger isoliert für den entsprechenden Bereich.

Allgemein bietet das Planspiel eine sehr gute Grundlage, um zu verstehen, wie das Geschäftsmodell Versicherung funktioniert und wie man die wichtigsten Kennzahlen und Größen gezielt steuern kann. Ich würde es zu 100% weiterempfehlen.

 

Frau Gatzert, Sie haben mit Koautoren das Buch „Big Data in der Mobilität” geschrieben, in dem es auch um Implikationen für die Versicherungsbranche geht. Welches Thema steht bei Ihnen als nächstes an?

NADINE GATZERT:  Neben dem Mobilitätsthema bewegt mich vor allem das Thema Nachhaltigkeit in verschiedenen Dimensionen, auch vor dem Hintergrund der massiven Zunahme der Regulierung. Dazu haben wir gerade zwei Forschungsprojekte:

Zum einen untersuchen wir, welchen Stellenwert eine nachhaltige Anlagestrategie bei fondsgebundenen Lebensversicherungsprodukten aus Kundensicht im Vergleich zu anderen Faktoren hat – und welche Rolle Nachhaltigkeit als Attribut von Versicherungsunternehmen spielt.

Zum anderen haben wir in einem weiteren Forschungsprojekt Klimaszenarien modelliert und simuliert, um die kumulativen Auswirkungen von physischen und transitorischen Klimarisiken auf die Bilanzen von Schadenversicherern zu analysieren. Im Fokus steht hier vor allem auch, wie sich durch Klimarisiken möglicherweise entstehende nichtlineare Abhängigkeiten zwischen Kapitalanlagen und Schäden auswirken können.

All das sind Aspekte, die für eine ganzheitliche wert- und risikoorientierte Steuerung in Unternehmen eine zentrale Rolle spielen und berücksichtigt werden sollten, und zwar sowohl bei Risikomanagement-Entscheidungen als auch beim Pricing von Produkten. Auch haben wir gerade einen Artikel zum Thema Risikokultur veröffentlicht, in dem wir u. a. auf Dimensionen, Mehrwert und Verbesserungsmaßnahmen eingehen. Auch das ist ein in der heutigen Zeit nicht zu unterschätzendes Thema für Unternehmen, und zwar über alle Branchen hinweg.