Was Vertrieb mit Kultur zu tun hat.

Der Vertrieb von Finanzprodukten ist einem massiven Wandel unterworfen. Digitalisierung, Kundenzentrierung, geänderte Kundenbedürfnisse, neue Wettbewerber sind hier nur einige der Schlagworte. Wie sich Vertriebseinheiten verändern, um künftig erfolgreich zu sein, beschreibt Senior Manager Claus Peter Hendricks im Interview.

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Sie beschäftigen sich mit Vertriebskultur – da stellt sich einigen die Frage, was „Vertrieb“ mit „Kultur“ zu tun hat

Claus Peter Hendricks: Loriot hätte dazu gesagt: Da regt mich schon die Frage auf. Aber diese Frage lenkt das Spotlight auf ein wichtiges Thema: Vertrieb wurde und wird häufig aus einer Innensicht betrieben. Also: Wir haben hier ein tolles Produkt entwickelt, und das möge der Vertrieb doch bitte an die Frau und den Mann bringen.

Eine gute Vertriebskultur stellt den Kunden auf Platz eins, und danach kommt der Kunde und dann nochmals der Kunde. Und dann kommen irgendwann die Einheiten, die unmittelbar mit dem Kunden zu tun haben – Filialen, Agenturen, Vertrieb, After-Sales-Einheiten. Wenn der Kunde wirklich im Zentrum steht, dann muss der Vertrieb bei allen relevanten Projekten eine zentrale Rolle spielen. Bei vielen Strategieprojekten werden allerdings Kundenmeinungen und Vertriebler/-innen noch zu wenig eingebunden. Vielleicht liegt der Ursprung dieses Defizits in einer mangelnden Wertschätzung für die Menschen im Vertrieb.

Was macht eine Vertriebskultur aus?

Wenn wir über gute Kultur reden, dann ist das Thema psychologische Sicherheit ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor. Menschen müssen – in den Vertriebsteams – die Sicherheit spüren, eigene Ideen und eigene Initiativen einbringen zu können, ohne Gefahr zu laufen, negativ sanktioniert zu werden, auch wenn die Idee vielleicht nicht ganz so gut war. Daneben ist es wichtig, dass die Vertriebsorganisation das Anschlussmotiv der Vertriebler/-innen in Richtung Kunden fördert. Um das zu erreichen, müssen Führungskonzepte, Steuerungssysteme, Personalentwicklung und die Art und Weise der Kommunikation passen. Dann erreichen Sie den Punkt, an dem der Kunde am Ende das Gefühl hat: Dieser Mensch hat mich wirklich richtig gut verstanden.

Ist das nicht einfach nur guten Vertrieblerinnen und Vertrieblern geschuldet?

Eine gute Vertriebskultur ist wie ein Ökosystem, in dem sich gute Vertriebler/-innen entwickeln. Wie wertvoll eine gute Vertriebskultur nicht nur für die unmittelbare Ertragsstärke, sondern auch für die Veränderungsfähigkeit des Vertriebs ist, sehen wir zum Beispiel im Verbund der Genossenschaftsbanken bzw. in der Sparkassen-Finanzgruppe. Hier gibt es zusammen über 1.000 Kreditinstitute. In ihrem jeweiligen Verbund haben nahezu alle dasselbe Geschäftsmodell, die gleiche IT-Infrastruktur und bedienen sich aus einem ähnlichen Produktangebot. Und dennoch werden identische vertriebsstrategische Initiativen mit sehr unterschiedlichem Erfolg umgesetzt. Schaut man genauer hin, dann ist der Schlüssel zum Umsetzungserfolg häufig in der Vertriebskultur verankert.

Wohin entwickelt sich Führung, wie müssten Führungskräfte aktuell agieren?

Wir werden ja auch in den kommenden Jahren eine weitere Beschleunigung von zum Beispiel gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen erleben. Damit wird transformationale Führung immer wichtiger – also Führungskräfte, die versuchen, ihre Mitarbeitenden intrinsisch zu motivieren, indem sie beispielsweise attraktive Visionen vermitteln, den gemeinsamen Weg zur Zielerreichung kommunizieren, als Vorbild auftreten und die individuelle Entwicklung unterstützen. Das ist schon sehr anders als früher. Holzschnittartig heißt das: Früher war die Führungskraft eine Expertin, wusste alles am besten. Heute kommen Führungskräften eher Coachingrollen zu, um Mitarbeiterteams dabei zu unterstützen, einen eigenen Weg zum Erfolg am Kunden zu gestalten. Früher war Tracking und Controlling, Aufträge vergeben, Abarbeitung kontrollieren, abhaken – heute steht im Zentrum: Challenge und Support. Wie kann ich meine Mitarbeitenden motivieren, sich noch stärker in eine bestimmte Richtung zu engagieren? Wie kann ich sie fordern und wo brauchen sie Hilfe? Die Rolle der Führungskraft hat einen Paradigmenwechsel erlebt. Und gleichzeitig ist es manchmal auch weiterhin wichtig, dass Führungskräfte eine klare Anweisung geben und ein Problem der Mitarbeitenden schnell lösen.

Wie soll das denn in der Praxis aussehen?

Eine coachende Führungskraft bewegt sich idealerweise in einem mit dem Team abgesteckten Rahmen. Wenn wir über erfolgreiche Teamentwicklung reden, dann beginnt es meist damit, dass Führungskraft und Team sich ihrer gemeinsamen Stärken bewusst werden und ggf. verdeckte Konflikte auflösen. Dann entsteht erstaunlich schnell eine echte Aufbruchsstimmung, in der sich alle gemeinsam etwas richtig Ambitioniertes vornehmen und dieses Ziel mit ganz konkreten Entwicklungsschritten im Sinne einer Erfolgstreppe angegangen wird. Das ist natürlich ein sehr guter Rahmen für die coachende Führungskraft.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Teams gerade dann besonders ambitioniert sind, wenn es nicht ums Geld geht. Es gibt schon eine enge Korrelation von Ambition und Geld, aber leider invers – dann wird versucht, Ziele dramatisch niedriger zu setzen, damit diese in jedem Fall erreicht werden und der Bonus sicher ist. Intrinsisch motivierte Vertriebsteams setzen immer ein Ziel, das auch im Sinne des Kunden ist. Niemand setzt ja Ziele, um maximal viele Kunden zu verprellen. Es stellt sich doch immer die Frage, wie können wir die Kundenzufriedenheit stärken? Welche Bedarfe hat der Kunde? Wo gibt es Lücken? Was können wir besser machen? Über so einen Prozess erreicht man Klarheit über Ziele, stärkt die Kundenorientierung, und im Team entsteht ein Spirit. Die Rolle der Führungskraft ist es, dafür zu sorgen, dass diese Flamme immer lodert.

Das ist die Beschreibung für das Vorgehen im Team, aber wie kommt dieser Geist in die gesamte Organisation?

Hier hilft es natürlich, wenn eine gute Vision und ein klares strategisches und kulturelles Zielbild vorhanden sind. Und letztlich müssen in der Regel Strukturen geändert werden: die Steuerungssysteme, die Personalentwicklungsmaßnahmen – immer mit dem Anspruch, alles schnell in die richtige Richtung zu drehen. Ansonsten folgt der gleiche Effekt wie beim Trainerwechsel bei einer abstiegsbedrohten Mannschaft: Einen Tag lang stehen alle begeistert auf den Tischen, und am nächsten Tag sieht die Welt leider genauso grau aus wie vorher – alles ist verpufft.

Bei diesem Veränderungsprozess – wo steht die Branche auf einer Skala von eins bis zehn?

Wir haben viele Kunden, die auf diesem Weg schon sehr weit gekommen sind und vielleicht zwischen acht und neun stehen. Insgesamt würde ich die Branche vielleicht bei fünf bis sechs einordnen. Tendenz: Es wird besser, weil in vielen Häusern das Thema auf der Agenda steht.

Woran hakt es?

Das ist immer das große Thema: Wie schaffen wir es, bei einem Supertanker in voller Fahrt den Kurs zu verändern. Es muss akzeptiert werden, dass Kulturveränderungen langwierige Prozesse sind. An dieser Stelle braucht es auch ein klein wenig Demut. Wenn bei dem Supertanker in voller Fahrt der Kurs um ein paar Grad korrigiert werden kann, dann reicht das vielleicht schon aus, um nicht mit dem Eisberg zu kollidieren.

Und es hakt an Gewohnheiten und internen Widerständen. Mit dem Rauchen aufzuhören, gelingt vielen auch nicht von jetzt auf gleich. Da braucht es neue Gewohnheiten, die dann auch nicht verpuffen dürfen. Da gilt es, immer wieder gegen die Beharrlichkeit in der Organisation anzukämpfen und Strukturen sowie eine Mannschaft und einen Teamspirit zu schaffen, die diese Rückfälle verhindern.

Das Allerwichtigste für eine gelungene Transformation ist das Commitment des Topmanagements. Es bedarf der Weitsichtigkeit und Perspektive, dass dies eine Entscheidung ist, die nicht auf die nächsten Quartalszahlen einzahlen wird. Dann braucht es die Bereitschaft, in die Führungskräfte und auch in die Mannschaft zu investieren. Das heißt letztendlich: Die Transformation kommt allen entgegen, die einen qualitativ hochwertigen Vertrieb haben wollen oder eine gute Vertriebsorganisation. Für Drückerkolonnen ist das nichts.

Ganz kurz: Was ist Vertriebskultur?

Vertriebskultur ist, wenn der Kunde nach Hause geht, die richtigen Produkte bekommen hat und sich dabei gut fühlt. Dann ist das schön.

 

Take-aways Vertriebskultur 

  • Gute Vertriebskultur setzt den Fokus auf den Kunden, den Kunden und nochmals den Kunden.
  • Die Vertriebssicht sollte bei Kultur- und Strategieprojekten stärker eingebunden werden, weil vertriebsspezifische Skills dort oft ungenügend adressiert werden, die Kundenschnittstelle unterrepräsentiert ist.
  • Eine positive Vertriebskultur vermittelt Sicherheit, eigene Themen anzugehen, Ideen einzubringen, Neues auszuprobieren.
  • Klare Ziele in Vertriebsteams sind wichtig, aber finanzielle Anreize haben nur eine begrenzte Wirkung.
  • In Projekten auf positive Verstärkung setzen; Erwartung der Selbstwirksamkeit befeuert den Projekterfolg.
  • Teamcoachings verstärken den Effekt.
  • Führung heute ist wertorientierte Führung.
Profilbild Claus Peter Hendricks
„Vertriebskultur ist, wenn der Kunde mit einem guten Gefühl nach Hause geht.“
Claus Peter Hendricks, Senior Manager zeb