Herr Klett, wie kommt man auf die Idee, die eigene Organisation von Grund auf umzukrempeln?
PETER KLETT: Der Trigger war die Digitalisierung. Wir haben anfangs gedacht: Wir müssen uns einfach digitaler aufstellen, um den veränderten Kundenbedürfnissen als Sparkasse gerecht zu werden. Dann aber haben wir schnell gemerkt, dass das zu kurz gesprungen wäre, dass die Umwälzungen so groß sind, dass wir mit den herkömmlichen Strukturen nicht weiterkommen. Ich vergleiche das gerne mit dem Fosbury-Flop. Bei den Olympischen Spielen 1968 sprang der Hochspringer Dick Fosbury als Erster nicht mehr seitlich, sondern rückwärts über die Latte. Damals war das eine völlig neue Sprungtechnik, ein radikaler Methodenwechsel. Wir haben im Vorstand gespürt, dass auch wir mit den etablierten Methoden – Ziele rauf, Kosten runter – nicht mehr wirklich weiterkommen, dass es an der Zeit für etwas ganz Neues ist.
Und wie ist es dann zu der Zusammenarbeit mit zeb gekommen?
Wir haben mehrere Unternehmensberatungen eingeladen, die uns erklärt haben, wie wir aus deren Sicht agiler werden können. Da kam zum Beispiel ein Berater, der das als Strukturprojekt begriffen hat und uns sagte, wir müssten diese und jene Abteilung zusammenlegen. Als wir ihn fragten, wie das zu einem agileren Mindset der Mitarbeitenden führen solle, meinte er, das müsse man dann eben über Zielvereinbarungen regeln. Danach war das Gespräch, ehrlich gesagt, schnell beendet. Die zeb-Berater waren anders. Sie haben uns nicht erklärt, was wir schon lange wissen. Sie haben uns auch nicht gesagt, was wir machen müssen. Stattdessen haben sie uns gezeigt, wie wir selbst kreativ werden können.
Was heißt das konkret?
Anfang des Jahres haben wir zunächst mit dem gesamten Vorstand über zwei Monate hinweg Leitgedanken entwickelt. Ein Beispiel zum Thema Führung: Wir haben für uns definiert, dass es bei Führung vor allem darum geht, Mitarbeitende zu befähigen, eigenverantwortlich zu handeln. 99 Prozent der Entscheidungen sollen von den Mitarbeitenden selbst getroffen werden. Das heißt nicht, dass es keine Führungskräfte mehr braucht. Aber ihre Rolle ändert sich fundamental. Es geht vor allem um das Empowerment der Mitarbeitenden. Solche Leitgedanken haben wir auch für andere Bereiche wie Kommunikation, Fehlerkultur etc. festgelegt. Sie bilden gewissermaßen das Spielfeld, das dann von den Mitarbeitenden selbst bespielt werden kann.
Wie muss ich mir das vorstellen?
Wir haben die Mitarbeitenden aufgerufen, an Zukunftsworkshops und Design Thinkings teilzunehmen. Außer den Leitplanken haben wir nichts vorgegeben. Alle Mitarbeitenden konnten sich bewerben. Es war uns wichtig, dass nicht wir als Vorstand die üblichen Verdächtigen auswählen, sondern das Ganze ein offener Prozess ist. Anfangs hatten wir noch etwas Sorge, dass sich gar nicht genug bewerben würden. Aber das Gegenteil war der Fall. Auf 80 Plätze haben sich 164 Mitarbeitende beworben.
Und was haben die Workshops ergeben?
Nach etwa einem Monat durften wir als Vorstand einen kurzen Blick hineinwerfen. Wir waren wirklich überrascht. Der Leiter Marktfolge Kredit schlug zum Beispiel vor, das komplette Sonderkonditionstableau für das Aktivgeschäft einfach abzuschaffen! Das waren drei DIN-A3-Seiten, in denen detailliert festgelegt wurde, wer in welcher Kompetenzstufe berechtigt ist, welche Konditionen zu gewähren. Das ist das Gegenteil von Eigenverantwortung. Also haben wir das abgeschafft. Ein anderer Mitarbeitender schlug vor, dass wir uns künftig alle duzen sollten, vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Azubi. Das haben wir auch eingeführt. Und das Erstaunliche ist: Es ist viel mehr als eine symbolische Geste, es verändert etwas. Das merke ich auch selbst. Wenn ich einem Mitarbeitenden gegenübersitze und ihn duze, fällt es mir leichter, ihm ohne Umschweife zu sagen, was ich denke. Dies gilt natürlich auch umgekehrt.
Am Ende ist Agilität kein Selbstzweck. Der Kunde soll etwas davon haben. Was merkt er von den Veränderungen?
Der Kunde ist der einzige Grund, dass wir existieren! Dieser Gedanke steht im Mittelpunkt aller Veränderungen. Ich gebe auch hier einmal ein Beispiel: Wenn ein Kunde geheiratet und seinen Namen geändert hat, musste er bisher 14 Unterschriften bei uns leisten, eine für die EC-Karte, eine für die Schufa-Auskunft und so weiter. Aus einer internen Prozesslogik heraus macht das Sinn. Aber für den Kunden ist das der Wahnsinn. Auch das ist ein Ergebnis der Workshops: Der Kunde muss jetzt nur noch eine Unterschrift leisten. Um den Rest kümmern wir uns.
Hatte der Prozess auch Auswirkungen auf die Struktur des Unternehmens?
Wir haben ganz bewusst nicht mit dem Thema Struktur begonnen. Es war richtig, mit dem Mindset der Mitarbeitenden und den Werten unseres Unternehmens zu starten. In der Vergangenheit haben wir manchmal endlos über Gehaltsstufen diskutiert. Dabei ist Sinnstiftung den Menschen viel wichtiger. In einem Pilotprojekt testen wir deshalb ein komplett neues Zielsystem, bei dem die Mitarbeitenden die Ziele selbst festlegen. Aber natürlich hat Agilität viele Dimensionen, und wir stehen erst am Anfang eines tief greifenden Wandels. In einer neuen Zukunftswerkstatt wird es auch um das Thema Struktur gehen.
Wenn 80 ihrer Mitarbeitenden in Workshops und Design Thinkings solche Verbesserungen erarbeiten, leidet dann nicht das Tagesgeschäft?
Das war am Anfang unsere große Sorge. Wir können ja kein Schild an unsere Filialen kleben: „Wegen Umbau zur agilen Sparkasse geschlossen.“ In der Praxis aber war das überhaupt kein Problem. Wir haben unsere Ziele im Privatkundengeschäft sogar übererfüllt. Die Mitarbeitenden sind mit so viel Begeisterung dabei, die haben einfach Spaß an der Sache. Viele bilden jetzt aus eigener Initiative interdisziplinäre Teams, um etwas im Haus zu verbessern. Da ist eine Eigendynamik entstanden, die lässt sich gar nicht mehr stoppen. Auch ich als Chef muss mich an meine neue Rolle gewöhnen, lernen, auch mal loszulassen und nur dort zu unterstützen, wo es gewünscht und benötigt wird. Als Führungskraft werde ich immer mehr zum Dienstleister meiner Mitarbeitenden.