„Ab sofort darf nicht mehr in fossile Energien investiert werden.“

Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Energieökonomin und leitet am DIW die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt

Claudia Kemfert

Frau Kemfert, wie realistisch ist es, die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen?
Prof. Dr. Claudia Kemfert: Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021 – das den Staat zum Klimaschutz verpflichtet – bin ich optimistisch. Denn die Tatsache, dass Regierungen gerichtlich zu Veränderungen gezwungen werden, zeigt: Aus der Verantwortung kommen wir nicht raus. Daher glaube ich, es kann uns noch in diesem Jahrzehnt gelingen, den Klimawandel zu stoppen.
 
Wie kann das gehen?
Kemfert: Zunächst einmal muss Bewegung ins politische Handeln kommen. In der Hauptsache plädiere ich dafür, ab sofort nur noch Investitionen in erneuerbare Energien zu tätigen und nicht mehr in fossile Brennstoffe – wie es auch die Internationale Energieagentur fordert. Nur so können wir es schaffen, die Emissionen bis 2038 auf null zu senken. Auch Wiederaufforstung und der Erhalt der Wälder sind wichtig, um CO2 in ausreichendem Maß zu absorbieren. Dies stellt aber nur eine unterstützende Maßnahme dar.

Wie soll es gelingen, die Emissionen so schnell zu senken?
Gleich nach der Förderung erneuerbarer Energien, insbesondere von Solar- und Windkraft, kommt die Elektrifizierung aller Sektoren, bei denen das möglich ist, vor allem im Wärme- und Transportsektor. Last, but not least gilt es, Energie zu sparen. Das wird häufig vergessen, doch auch bei der Herstellung von Wasserstoff wird fünfmal so viel Ökostrom benötigt, als wenn wir ihn direkt nutzen würden. Der kostbare grüne Wasserstoff sollte somit nur da zum Einsatz kommen, wo es keine direkte elektrische Alternative gibt. 

In China oder Russland beispielsweise ist noch keine Abkehr von fossilen Brennstoffen zu erkennen. Wie sollten wir mit diesen Ländern umgehen?
Kemfert: Auch hier liegt die Verantwortung ganz klar bei der Finanzwirtschaft und den Banken. Denn die Institute sind in der Lage, geplante Kohlekraftwerke in China nicht mehr zu finanzieren. Daher ist auch die EU-Taxonomie so wichtig, welche einheitliche Standards für Nachhaltigkeit festlegt. Vorbild für die Regierungen dieser Länder könnte Norwegen sein, das Land mit der höchstentwickelten Demokratie weltweit. Norwegen hat immer sehr viel Öl verkauft – und über Jahrzehnte parallel die Energiewende vorbereitet, indem die Regierung mittels eines Staatsfonds vorsorgte. Die Antwort auf Ihre Frage ist daher auch: Wir müssen die Demokratie stärken, um den Wandel gemeinschaftlich zu gestalten. Zudem hat China sich ja selbst verpflichtet, die Emissionen zu senken, und kämpft ebenso mit der Luftverschmutzung durch Kohlekraftwerke.

Was bringt der Green Deal?
Kemfert: Durch dieses Konzept etablieren sich weltweite Standards für emissionsfreie Produkte. Auch die Einführung von Strafzöllen bzw. Importabgaben für klimafeindliche Produkte steht zur Diskussion. Wir in der EU importieren sehr viel aus China, wie etwa den sogenannten Dumping-Stahl, der sehr umwelt- und klimaschädlich ist. Da könnte man den Klima-Impact gleich miteinpreisen. Und idealerweise fordern schon Ausschreibungen die Einhaltung entsprechender Umwelt- und Klimakriterien, statt nur auf die Kosten zu achten.  

Was kann die Finanzbranche zum Klimaschutz beitragen?
Kemfert: Das sind aus meiner Sicht zwei Dinge. Erstens müssen Banken fossile Risiken des Klimawandels benennen und einordnen. Dazu gehört etwa, toxische Papiere transparent zu machen. Die Forschung hat gezeigt: Finanzierte Emissionen sind hundertmal höher als operative Emissionen. Zweitens müssen die Institute in eine Null-Emissionen-Wirtschaft investieren – und Gelder nur noch für zukunftsträchtige Geschäftsmodelle bereitstellen.

Das ist eine große Verantwortung  …
Kemfert: … und eine Riesenchance, um künftig hohe Kosten durch Fehlinvestitionen und Klimarisiken zu vermeiden und Investitionen in den Klimaschutz in einer signifikanten Größenordnung zu ermöglichen.

Frau Prof. Dr. Kemfert sprach zu diesem Thema auf unserem Great Women Netzwerktreffen am 11. Juni 2021. Erfahren Sie hier mehr.