Das kann die Finanzwelt von der Elektromobilität lernen

Elektroautos gelten als Musterbeispiele für Innovation. Einer, der dafür sorgt, dass die Branche in Fahrt kommt, ist Dr. Tobias Placke. Der Chemiker arbeitet am MEET Batterieforschungszentrum in Münster als „Head of Materials Division“.

Gemeinsam mit 150 Mitarbeitenden ist Placke an der Forschungseinrichtung der Westfälischen Wilhelms-Universität auf der Suche nach Speicherlösungen mit höherer Energiedichte, längerer Lebensdauer, verbesserter Nachhaltigkeit, maximaler Sicherheit und möglichst geringen Kosten – aktuell vor allem, um die Verkehrswende voranzubringen.

Interviewbild_Placke_1920x1080.jpg

Herr Placke, die Finanz- und Mobilitätsbranche verbindet, dass sie massive Veränderungen erleben, getrieben durch Technologien, die viele lange belächelt haben – im Finanzsektor sind das etwa Blockchain und Robo Advisor, bei Ihnen Elektroautos. Unsere Wahrnehmung: Der Mobilitätssektor hat weniger Schwierigkeiten damit, sich der Veränderung zu stellen und notfalls auch kategorische Maßnahmen zu ergreifen. Was kann der Finanzsektor davon lernen?


DR. TOBIAS PLACKE: An technologischen Innovationen muss man kontinuierlich dranbleiben. Das beste Beispiel sind Lithium-Ionen-Batterien. Sony hat sie 1991 eingeführt, erst steckten sie in Camcordern, dann in Handys, heute in Elektroautos. Dass das so schnell ging, lag vor allem an Fernost – dort wurde die Forschung kontinuierlich über viele Jahrzehnte weitergetrieben.
In Deutschland wurde dagegen sehr lange gezögert: Viele hatten die Sorge, eine Menge Geld in eine Branche zu stecken und dann wieder durch Dumpingpreise der Marktführer ausgestochen zu werden – so wie vor zehn Jahren in der Solarbranche geschehen. Da wurden bei uns Milliarden Euro investiert, andere waren dann aber günstiger und haben den Markt hier quasi zerstört. 
In Deutschland hat man seit 2005 auf eine Revolution in der Batterieforschung gewartet, eine „Super“-Technologie, auf die man aufsetzen könnte. Nur: Die Revolution kam nicht und ist auch jetzt noch nicht da. Vor fünf, sechs Jahren wurde dann entschieden, doch noch richtig in die Forschung zu Lithium-Ionen-Batterien einzusteigen. Aber man hat richtig viel Zeit – im Prinzip zehn Jahre – verloren; zehn Jahre, die andere gut genutzt haben.

Das heißt?
Natürlich ist es wichtig, sich neue Technologien anzuschauen. Aber dafür die Weiterentwicklung existierender Technologien zu vernachlässigen, das kann leichtsinnig und teuer werden. Das ist das Problem mit dem „next big thing“, das sehr lange „the next“ bleibt ... bevor es „big“ wird.
Ja, und vielleicht auch niemals kommt.

Kann die deutsche Batterieforschung diese Lücke noch schließen?
Ja, mit sehr viel Geld. Große Automobilhersteller, aber auch andere Unternehmen kaufen sich momentan einfach in alles ein. Dann holt man natürlich auch schnell auf. Aber das wird richtig teuer. Hätten wir früher angefangen, würden wir jetzt deutlich besser dastehen.

 

Technologieoffenheit ja – aber immer mit Blick darauf, welche Use Cases realistisch sind

 

Sie sprachen von verschiedenen Technologien, die beachtet werden sollten. Technologieoffenheit wird auch viel in der Finanzwelt diskutiert. Wie wichtig ist sie, wenn wir innovativ bleiben möchten? 
Sehr wichtig, aber es ist auch ein viel strapazierter Begriff. Nehmen Sie das aktuelle Beispiel: Das Thema Batterien oder Brennstoffzellen, also Wasserstoff, wird gerade heiß diskutiert mit vielen unterschiedlichen Meinungen und den Forderungen, man müsse beide Technologien voranbringen. Generell stimmt das, nur sollte immer geschaut werden, für welche Anwendung welche Technologie die richtige ist. Da verkennen viele, dass zum Beispiel Brennstoffzellen für den Individualverkehr wenig Sinn ergeben. Die Gesamteffizienz von Wasserstoff in der Brennstoffzelle liegt bei ca. 30 Prozent, bei Batterien sind es über 70 Prozent. Man muss also fast dreimal so viel Energie hineinstecken, um einen vergleichbaren Output zu erreichen. Für andere Anwendungen ergibt Wasserstoff mehr Sinn. Also Offenheit ja – aber immer mit Blick darauf, welche Use Cases wirklich realistisch und geeignet sind.

Offenheit heißt dann auch, sich bewusst gegen gewisse Anwendungen zu entscheiden …
Natürlich, irgendwann muss man das tun. Das machen zum Beispiel jetzt auch viele in der Automobilindustrie, die sagen: „Wir machen jetzt nur Batterien, weil wir nicht in beide Systeme zeitgleich investieren können. Das wird zu teuer.“ Es geht ja nicht nur um die Autos – die Infrastruktur, also gerade auch Ladesäulen, fehlen ja noch. Irgendwann muss die Entscheidung stehen, was priorisiert werden soll, auch wenn sich viele Firmen damit schwertun.

Wer sind denn in Ihrer Branche die Innovatoren? Die Start-ups oder die etablierten Spieler? Oder sind es US-Tech-Konzerne – analog zu den PayPals und Googles im Finanzsektor? 
Es gibt im Batteriebereich viele Start-ups. In den USA noch viel mehr als in Europa, weil Start-ups da anscheinend besser gefördert werden und in den USA unternehmerisches Scheitern bekannterweise in der Regel kein Makel ist. Das bringt auf jeden Fall viel Innovation in den Bereich der Batterietechnologie. Tesla ist ja im Prinzip auch als Start-up gestartet und hat die Technologie deutlich vorangebracht, weil es sich getraut hat, was sich damals niemand getraut hat.

Wer zu lange auf das „große Ding“ wartet, wird abgehängt

 

Letzte Frage: Was könnten eine Sparkasse oder auch eine Großbank von MEET und Ihrer Branche lernen?
Bei Innovationen ist der Fokus wichtig: Irgendwann muss man sich entscheiden, denn man kann nicht auf alle Pferde gleichzeitig setzen. Das heißt auch, nicht jedem Trend hinterherzurennen. 
Wichtig ist außerdem, die vielen Innovationsnews einordnen zu können: Wie oft habe ich schon von neuen Wunderbatterien gelesen – sicherlich 100-mal. Und die meisten Meldungen waren einfach verfrüht oder zu optimistisch. 
Letzter Punkt: An Innovationen kontinuierlich dranbleiben – aus der Erkenntnis heraus, dass sie Schritt für Schritt passieren. Wer zu lange auf das „große Ding“ wartet, wird von der oft evolutionären Technologieentwicklung abgehängt.

 

Herr Placke war Gastredner auf der diesjährigen zeb.Uni. Wenn Sie Fragen haben oder den Kontakt wünschen, wenden Sie sich bitte an Sarah Schroeder.