Gestaltungspotenzial durch „Weiterbauen“ statt energieintensiven Neubaus

Wuttke

Architektin spricht von großen Chancen für eine 
derzeit klimaschädliche Branche

Der Bausektor ist zwar „nur“ für rund 10% des deutschen Bruttoinlandsprodukts verantwortlich - verursacht dabei aber gleichzeitig 40% des nationalen Energieverbrauchs und der Treibhausgasemissionen. Die Architektin Astrid Wuttke von schneider+schumacher sieht daher gravierende Veränderungen auf die Branche zukommen – die sie jedoch unter dem Stichwort „Weiterbauen“ als große Chance begreift. Um die „graue Energie“, die in bestehenden Gebäuden steckt, nicht zu verschwenden, sondern gezielt „gebunden“ zu lassen, müssen Architekten künftig noch mehr auf Umbau statt Neubau setzen. 

Als Leuchtturmprojekt für „Weiterbauen“ nannte Wuttke die Modernisierung des Ausstellungsgebäudes Mathildenhöhe in Darmstadt, das zum UNESCO-Welterbe zählt. Das Haus sei angemessen energetisch und technisch auf den neuesten Stand gebracht worden, ohne zu viel Altes zu ersetzen. Die Vorgehensweisen, bei der der bestehende Bau grundsätzlich Ausgangspunkt aller Überlegungen ist, lässt sich auch auf nicht denkmalgeschützte Objekte übertragen. Laut Wuttke stecken 70 Prozent der eingesetzten Energie in Rohbau und Fassade eines Gebäudes. „Die Herausforderung besteht darin, Rohstoffe in Kreisläufen so zu führen, dass möglichst wenig Ressourcen aus der Natur entnommen werden müssen und möglichst wenig Abfall deponiert werden muss.“

Auf der Mathildenhöhe arbeiteten schneider+schumacher gleichermaßen denkmalgerecht und zukunftsorientiert und nutzten das ehemalige Wasserreservoir unter dem Haus für ein geothermisches Energiekonzept. „Die Planungsleistung ist entscheidend“, sagt Wuttke. Gerade in den frühen Leistungsphasen eines Projekts könnten die Lebenszykluskosten deutlich beeinflusst – und damit die Klimabilanz über Jahrzehnte deutlich verbessert – werden. Durch Bestandserhalt könnten nicht nur materielle, sondern auch immaterielle Werte erhalten und weiterentwickelt werden.

„Sanierung schlägt Neubau“, sagte Wuttke mit Blick auf die finanziellen und klimarelevanten Kosten des Bauens. Durch Abriss und Neubau ließe sich der CO2-Fußabdruck eines Einfamilienhauses bis 2050 zwar halbieren, aber der Energieaufwand beim Bauen wäre enorm. Eine angemessene Sanierung hingegen könnte den Fußabdruck über 30 Jahre um 75% reduzieren – und das zum halben Preis eines Neubaus. Unverständlich bleibt für Wuttke, warum insbesondere auch das gestalterische Potenzial des Weiterbaus so oft übersehen wird.