Über den Umgang mit InsurTechs im Versicherungsgeschäft

Wolfgang Essing, Senior Partner bei zeb und Experte für Versicherungen über Kardinalfehler, Digitalisierung und große Egos.

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Herr Essing, welche Fehler machen Versicherer beim Thema Digitalisierung?
Der Kardinalfehler ist zurzeit, dass viele glauben, das Geschäft der Zukunft funktioniere nur noch durch Digitalisierung und mithilfe der Innovationen von InsurTechs. In einigen Bereichen ist es sinnvoll, digital zu denken, etwa wenn es um die Automatisierung zahlreicher Standardprozesse geht – vom Betrieb über die Produktentwicklung bis zum Vertrieb.

Kontraproduktiv ist der Digitalisierungsglaube aber, wenn Versicherer in den Ideen diverser InsurTech-Gründer die Kardinallösungen sehen. Es gibt viele Gründer, die in den vergangenen Jahren mit großem Ego aufgetreten sind, getreu dem Motto: „Wir erklären Euch jetzt mal, wie Versicherung von morgen geht, denn sonst seid Ihr bald weg vom Fenster.“ Bei unserem DKM-Panel Digitalisierung haben mir einige schon vor fünf Jahren gesagt: 2020 gibt es keine klassischen Versicherer mehr.

2020 ist jetzt …
Genau, und wenn ich mich mit denselben Gründern heute unterhalte, dann hat man das Gefühl, dass viele jetzt in der Realität angekommen sind und sich über jede Kooperation mit einem Versicherer freuen. Zahlreiche Ideen, die InsurTechs einbringen, sind sehr spannend, allerdings bedienen sie oft Nischen. Viele InsurTechs mussten feststellen, dass ihnen trotz guter Ansätze der Zugang zum Kunden nicht gelungen ist. Hier können die etablierten Versicherer ihre über Jahrzehnte aufgebaute Kundenstärke gezielt ausspielen. 

Wie sollte ein etablierter Versicherer die Zusammenarbeit mit einem InsurTech angehen?
Zunächst gilt es, sich zu fragen, wie die Kundenprofile in zehn Jahren aussehen werden. Welche Erwartungshaltungen gibt es? Welche Kundensegmente sollte ich überhaupt bedienen? Und welche Ansprache verlangen die Kunden? Davon brauche ich ein klares Bild. Danach schaue ich mir an, was die Organisation tun muss, um diese Kunden auch künftig zu begeistern. Daraus ergeben sich in der Regel klare Handlungsanweisungen und Anforderungen, die es zu bedienen gilt. Diese Systematik verhindert den Wildwuchs, sich mit jeder digitalen Idee auseinandersetzen zu wollen. Welchen Bereich man auf welche Art digitalisieren sollte, darüber entscheidet allein der Bedarf des Kunden. Und so erkennt man auch die InsurTechs, die für das eigene Unternehmen wirklichen Wert stiften. 

Wie bewerten Sie den aktuellen Digitalisierungsstand der Versicherungsbranche?
Genau um hier einen klaren Blick zu erhalten, haben wir jüngst den Pulse Check „Digitalisierung in Versicherungen“ als Studie veröffentlicht. Die Quintessenz war, dass das Potenzial für weitere Digitalisierungsschritte erheblich ist. Die Kooperation mit oder der Kauf von InsurTechs hat bisher in vielen Fällen noch nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt. Ich erlebe immer wieder, dass Versicherungen sich bei irgendwelchen Start-ups einkaufen, nur um dann festzustellen: So richtig passt das ja nicht bei uns rein. Und warum? Weil sie sich vorher nicht mit der simplen Frage beschäftigt haben: Was will unser Kunde?

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„Ich erlebe immer wieder, dass Versicherungen sich bei Start-ups einkaufen, nur um dann festzustellen: So richtig passt das ja nicht bei uns rein. Und warum? Weil sie sich vorher nicht mit der simplen Frage beschäftigt haben: Was will unser Kunde?“

Wolfgang Essing, Senior Partner