Der Mythos von der neuen Fehlerkultur

Kernaussagen:  

  • Schafft die falsch verstandene Fehlerkultur ab! Sie ist der eigentliche Fehler! 
  • Es ist nicht disruptiv, Scheitern zur Religion zu überhöhen: Aus Schaden wird man nicht automatisch klug
  • Unternehmen brauchen stattdessen eine neue Transformationskultur, in der sie gezielt Mitarbeiter entwickeln, neue Managementmethoden zulassen und somit die eigene Organisation zukunftsfähig machen
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Fast überall in deutschen Unternehmen hat sich das Mantra verbreitet, dass man sehr viel falsch machen muss, um erfolgreich zu sein. In schicken bunten Bürolandschaften trifft man auf Change-Gurus, die den Betrieb mit agilen Arbeitsweisen umkrempeln wollen. Führungskräfte legen vor Betreten der „Zukunftslabore“ symbolisch die Krawatten ab. Angeblich, so das Credo einer von der Start-up-Mentalität abgeleiteten Denkweise, gibt es ohne Scheitern keine Innovation. Mitarbeiter und Manager lernen, den Fehler zu umarmen und Vorstände, die jahrzehntelang auf Zero-Fehlertoleranz gesetzt haben, sollen plötzlich den Fehler lieben lernen. Kann das gut gehen? Eher nicht. 

Häufig verläuft der hippe Ansatz im Sand der Projektmacherei. Oder die von oben verordnete Fehlerkultur löst enormen internen Druck unter Mitarbeitern aus – gerade bei den erfahrenen Jahrgängen und gerade in konservativen Branchen wie der Finanzwelt. Denn Fehler sind mit negativen Assoziationen verknüpft, mit Versagen, Ängsten und dem reflexartigen Suchen nach dem Schuldigen. Keiner macht freiwillig Fehler und niemand möchte zugeben, falsch gelegen zu haben. Es ist nicht disruptiv, Scheitern zur Religion zu überhöhen: Aus Schaden wird man nicht automatisch klug. Wenn jeder, der scheitert, automatisch erfolgreich wäre, gäbe es nur Gewinner. 

Die Erlaubnis, Fehler zu machen, ist weder die Bedingung für den Erfolg, noch das einzige Mittel. Fehlerkultur muss wachsen, und kann nicht per Dienstanweisung eingeführt werden. 

Eine Bank oder eine Versicherung fit für die Zukunft zu machen, ist immer auch ein emotionaler Prozess. Deswegen sollte man zuerst einen Fehler beenden: den Begriff der Fehlerkultur zum neuen Management-Leitbild zu erheben. Think positive: Meistens lernen Menschen zu wenig aus ihren Erfolgen und analysieren diese im Vergleich zu ihren Fehlschlägen deutlich zu wenig.

Doch wie gelingt Veränderung? Wie erzeugt man positive Aha-Effekte, um den Weg frei zu machen für neue Ideen? Natürlich kann man aus Fehlern lernen. Man soll das auch tun. Nur im richtigen Rahmen und mit einem definierten Ziel. Es muss definiert sein, wo Fehler punktuell erlaubt sind und wo sie unbedingt vermieden werden müssen. Während der Transformation eines Unternehmens braucht man klar definierte Spielfelder, einen geschützten Raum, in denen neue Ideen nach dem Prinzip Trial and Error ausprobiert werden können. Ein Freiraum, in dem Scheitern ohne Sanktionen möglich ist. Wenn daraus etwas Brauchbares entsteht, wunderbar. Wenn nicht, nächstes Projekt, weitermachen. Daraus – und darauf muss es heute ankommen – entsteht eine positive Transformationskultur, die die kontinuierliche Weiterentwicklung zum Ziel hat. 

In der Antike benutzte man eine Schreibtafel, die in der Form an heutige Tablets erinnert. Auch das Wischen kannte man schon. Wenn die wachsüberzogene Schicht vollgeschrieben war, schabte man die Schrift einfach ab. Daher kommt der Ausdruck des „Tabula rasa machen“. Alles auf Anfang, neu beginnen mit einem unbeschriebenen Blatt. Davon inspiriert ist das TABULARAZA, ein kreativer Ort für digitale Transformation, in den wir Mitarbeiter von Sparkassen, Banken und Versicherungen zu Workshops einladen. Was erwartet der Kunde? Wie sieht das Banking und die Versicherung im Jahr 2025 aus? In Hamburg, im achten Stock eines unscheinbaren Bürohauses mit Blick auf die Elbphilharmonie wird mit den Vorständen und Führungskräften eine gemeinsame Vision für Morgen entwickelt und erprobt. Mit Freude an der Lösung von Problemen. Pragmatisch, vernünftig, kritisch. Nicht mehr und nicht weniger: Verstehen, erleben und kreieren. Testbare Prototypen erarbeiten und dabei Schwachstellen und Stärken erkennen. Ein Gespür dafür zu bekommen, unter welchen Umständen welches Handeln richtig ist. 

Beim gemeinsamen Ringen um den richtigen Weg geht es längst nicht mehr darum, Fehler zu machen oder zu unterlassen, sondern um viel mehr: um die Zukunft. Wer heute im Vorstand einer Bank oder anderswo die Transformation als Thema nicht erkannt hat, hat wahrscheinlich einen Fehler gemacht. Und wer glaubt, ohne Fehler zu sein, endet vermutlich bald einsam: ohne Kunden. 

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Stephan Dreyer ist Partner der Unternehmensberatung zeb und berät vor allem Genossenschaftsbanken zu den Themen  „Strategie & Transformation.“