Deutschland steht am Beginn der 20. Legislaturperiode – die großen Themen kristallisieren sich heraus: Klimaschutz und Finanzpolitik. Das sind zwei Bereiche, die eng mit dem Finanzsektor verknüpft sind – Stichworte „Finanzierung der Energiewende“, „Green Finance“, „öffentliche Finanzierungen/Investitionen“ ... Gleichzeitig sind Banken aus dem Fokus der Politik gerutscht. Zu Unrecht, wie zeb-Partner Heinz-Gerd Stickling im Interview meint. Die Einschätzung des Leiters des zeb-Research ist auch im folgenden Video einer Veranstaltung des Bankenverbandes (BdB) und der Bankenakademie zu sehen: „Nach der Bundestagswahl 2021- Was kommt auf die deutschen Banken zu?“
Video
Herr Stickling, welchen Stellenwert haben die Banken aktuell in der Politik?
HEINZ-GERD STICKLING: Nach der Finanzmarktkrise vor mehr als zehn Jahren waren Banker Persona non grata. Das hat sich geändert. Gerade in der Corona-Krise haben die Banken ihren Job gut gemacht. Das wurde auch von der Politik honoriert. Aber: Wir sind weit davon entfernt, dass der Finanzplatz Deutschland oder der Sektor Finanzdienstleistungen – also Sparkassen und Banken, Versicherer, Rückversicherer – aus der Politik Rückenwind erhält, wie das etwa in Frankreich der Fall ist. Nur um ein Beispiel zu nennen: Der größte Profiteur brexit-bedingter Verlagerungen vom Finanzplatz London war nicht etwa Frankfurt – es war Paris; auch dank einer intensiven Standortpolitik.
Hierzulande betrachten weite Teile der Politik Banken und Bankdienstleistungen als öffentliches Gut bzw. nur als Mittel zum Zweck. Es wird eine sichere Kreditversorgung erwartet, die tief in die Fläche hinein verfügbar ist – und das zu sehr günstigen Preisen und hohen Standards beim Verbraucherschutz. Bei hohen regulatorischen Lasten – aktuelles Stichwort Basel IV – und einem historischen Zinstief geht das einher mit schrumpfenden Erträgen und letztlich auch einem fortschreitenden Abbau von Arbeitsplätzen.
Und ganz aktuell werden die Banken von der Politik bei einer weiteren Aufgabe gesucht. Alle Parteien haben den Markt als wichtigen Helfer bei der ökologischen Transformation erkannt; über ihn geht es schnell und der Hebel ist groß. Die Banken sollen dabei die Rolle einer Evidenzzentrale des ökologischen Umbaus übernehmen. Sie sollen helfen den CO2-Footprint ihrer Kunden zu messen und zu reporten. Zudem sollen Banken ihre Kredit-, ihre Beteiligungs-, ihre Equity-Entscheidungen stark nach grünen Kriterien ausrichten.
… die grüne Transformation – aus Ihrer Sicht eher Chance oder Risiko für die Banken?
Die grüne Transformation ist eine doppelte Chance: Sie verschafft den Anliegen der Banken wieder mehr Aufmerksamkeit. Schließlich ist es so: Wer die Klimawende will, braucht starke Banken – und das nicht nur in Deutschland, sondern in Europa. Wir brauchen einen starken europäischen Kapitalmarkt, um die Herausforderungen des wirtschaftlichen Umbaus stemmen zu können. Aber dafür brauchen wir mehr einheitliche Regeln, bei Steuern, beim Rechtsrahmen wie etwa beim Insolvenzrecht, bei der Regulatorik …
Die ökologische Transformation eröffnet für die Banken auch eine Chance in wirtschaftlicher Hinsicht: als Kreditgeber, Begleiter bei Transaktionen und als Berater zur Implementierung der Nachhaltigkeitsanforderungen. Wir haben das gerade in der aktuellen Ausgabe unserer European Banking Study untersucht. Bei den europäischen Top-50-Banken sind etwa fünf Prozent des Portfolios dem braunen Bereich zuzuordnen, also schwierig mit Blick auf die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien. Dieses Segment ist zwar margenstark, aber risikoreich und mit abnehmenden Volumen. Ebenfalls fünf Prozent gelten als grün, erneuerbare Energien etwa. Das heißt: 90 Prozent des Portfolios sind Transitionsgeschäft. Das wird die große Herausforderung: Mit den Kunden den Net-Zero-Weg gehen, sie zu begleiten mit Kapital und Beratung. Hier liegt auch neues Geschäft, allein beim Thema Finanzierung gehen wir von fünf Prozent Ertragswachstum aus.
Nach Jahren mit schwachen Ergebnissen – steht die Branche vor goldenen zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts?
Kurz der Blick zurück: In den vergangenen zehn Jahren ist die Eigenkapitalausstattung besser geworden, das System stabiler. Im gleichen Zeitraum haben die Banken aber kaum noch ihre Eigenkapitalkosten verdient. Quintessenz: Die Politik ist zufrieden, die Aktionäre sind es nicht. Die Marktbewertung der Banken ist deutlich gesunken. Der DAX spiegelt das wider: In ihm ist nur noch ein Kreditinstitut vertreten.
Wieder Spaß machen könnte das Bankgeschäft, wenn die hiesige Zinsentwicklung der US-amerikanischen folgen würde, was wir für durchaus möglich halten. Aber selbst in diesem Best-Case-Szenario bleibt in den kommenden Jahren der Druck auf die Erträge. Schließlich haben die Banken und Sparkassen in Deutschland langfristige Zinsbindungen in den Büchern und somit wirken sich heutige Zinsänderungen nur teilweise kurzfristig ergebnisverbessernd aus.
Es gibt aber auch Chancen und Hoffnung: Die Chancen aus der grünen Transformation habe ich schon beschrieben. Daneben sehen wir Chancen durch die Digitalisierung. Bislang wurde diese oft als Bedrohung verstanden – Stichworte „große Internetkonzerne“ und „FinTechs“. Wir haben mittlerweile eine andere Perspektive entwickelt: Wir denken, dass Banking durch die Digitalisierung effizienter und wettbewerbsfähiger werden kann und auch für den Kunden attraktiver.
Die Branche und die Wirtschaft in Deutschland sind leidlich gut durch Corona gekommen. Die Nachholeffekte versprechen prosperierende Jahre 2021 und 2022. Was ab 2023 kommt, das ist stark davon abhängig, welcher Rahmen nun gesetzt wird – in geopolitischer sowie europapolitischer Hinsicht und wie die Themen Demographie, Erwerbstätigenquote, Stabilisierung der Sozialsysteme angegangen werden; alles Themen, die entscheidend für unsere Zukunft sind, im Wahlkampf aber keine große Rolle gespielt haben. Also: Sowohl mikro- wie makroökonomisch werden jetzt die Weichen gestellt, ob es goldene oder anstrengende Zwanziger werden.