Nachhaltigkeit ist DIE Herausforderung unserer Zeit - auch im Bereich Financial Services. Gleichzeitig ist das Volumen nachhaltiger Anlagen noch gering und es existiert kein einheitliches Verständnis darüber, was unter dem Begriff ESG, also Environment, Social und Governance, zu verstehen ist. Ist die Aufgeregtheit um das Thema nachvollziehbar?
MARKUS THIESMEYER: Noch kann ihn keiner konkret beschreiben und doch steht der Elefant mitten im Raum. Elefant ist dabei noch untertrieben. Die Forderungen nach Nachhaltigkeit wird die Art wie wir leben und die drei Buchstaben – ESG – wird die Art, wie wir finanzieren, nachhaltig verändern. Wir alle wissen, dass die ESG-Regulierung aktuell massiv aufgebaut wird. Gleichzeitig steckt sie noch in den Kinderschuhen.
Nehmen wir nur die ESG-Offenlegungsverordnung, die seit diesem Monat gilt. Sie verpflichtet dazu, nachhaltige Aspekte der Finanzprodukte offenzulegen. Es fehlen allerdings die technischen Standards der Verordnung. Diese sind aber entscheidend, um die Nachhaltigkeit der Finanzprodukte zu klassifizieren. Einerseits ist unklar, was wie erhoben wird und andererseits besteht ein riesiger Datenbedarf. Dabei müssen fast alle bei Null anfangen – das gilt für die Finanzierung von Unternehmen wie auch von Autos oder privaten Immobilien. Und wie immer - eigentlich hätte man gestern anfangen müssen, diese Daten zu erheben. Die alte Frage “Wann ist der richtige Zeitpunkt, einen Apfelbaum zu pflanzen?” und die bekannte Antwort „Jetzt!”...
Mit der Taxonomie-Verordnung hat die EU doch bereits ein Regelwerk vorgelegt. Reicht das als Grundlage nicht aus?
Die Taxonomie-Verordnung ist einerseits zu restriktiv und detailliert. Andererseits beschränkt sie sich aktuell noch auf die Umwelt, also das E von ESG. Und auch dabei sind überhaupt nur 10 von 70 Industrien erfasst. S und G sollen nachgeliefert werden. Umgelegt auf das Kreditbuch einer Bank stünde nur in zwei bis drei Prozent der Fälle die Ampel auf grün. Auf rot stehen etwa fünf Prozent der Fälle, wie etwa Glücksspielfinanzierung. Damit verbleiben immer noch über 90 Prozent des Bestandes, für den die Brüsseler Taxonomie nicht weiterführt. Um in der Ampellogik zu bleiben: Für neun von zehn Krediten steht die Ampel auf gelb. Und das ist die entscheidende Frage: Wie bewerten wir diese Fälle, die von hellgelb bis dunkelgelb changieren – gerade auch unter dem Aspekt von Brückentechnologien; wie ist etwa ein Gaskraftwerk zu bewerten oder ein Auto mit Verbrennungsmotor nach modernsten Energie- und Umweltstandards.
Unser zeb Ansatz ist es, sich auf die wesentlichen ESG-Indikatoren zu konzentrieren. Wir empfehlen, nicht mehr als zehn Indikatoren zu nutzen – je nach Geschäft sogar eher drei bis zehn. In einem konkreten Kunden-Case mit sechs Banken haben wir uns das bereits angeschaut und auf Praktikabilität getestet. Um ein Beispiel zu nennen: Bei einer Bank mit 30.000 Unternehmenskunden wurden – allein um die wichtigsten zehn Indikatoren abzudecken – 300.000 Datenpunkte erhoben.
Und das ist keine einmalige Aufgabe, sondern muss kontinuierlich aktualisiert werden. Es geht ja nicht darum, einen einmaligen Kraftakt zu bewältigen, sondern ein System zu etablieren, das dauerhaft funktioniert. Deshalb sollte nur das erhoben werden, was unbedingt nötig ist, um frühzeitig die Wahrscheinlichkeit eines Kreditausfalls erkennen zu können.
Kommen durch die zusätzlichen regulatorischen Anforderungen nicht erhebliche Lasten auf Unternehmen, Privatkunden und Kreditinstitute zu – und das in einer Zeit, in der es um die Profitabilität der deutschen Banken nicht sonderlich gut bestellt ist?
Gegenfrage: Was ist die Alternative? Wir haben in den letzten Monaten hinreichend Beispiele dafür bekommen, was passieren kann, wenn die Governance nicht ausreichend funktioniert. Die Reaktorkatastrophe von Fukushima jährt sich gerade zum zehnten Mal: Ein Beispiel dafür, wie plötzlich die Licence to operate für eine ganze Technologie perdu ist. Oder nehmen Sie das Beispiel Lieferkettengesetz, das soziale Aspekte tangiert. Nachhaltigkeit ist DIE Herausforderung unserer Zeit, der wir uns stellen müssen. Von Seiten der Regulierer sollte die Argumentation für die jüngsten ESG-Initiativen daher auch nicht allein über das Ziel Banksystem-Stabilität erfolgen.
Aber ja: Zusätzliche regulatorische Anforderungen bedeuten auch einen Mehraufwand. Daten müssen erhoben, verarbeitet und reportet werden. Das muss effizient und smart geschehen. Als Stichworte seien hier Chatbots genannt, um Kundeninteressen zu ermitteln oder Wissen und Einstellungen von Mitarbeitern realitätsorientiert zu erfassen. Ein weiteres Stichwort ist „künstliche Intelligenz”. Wir setzen sie ein, um wertvolle Informationen aus vorhandenen Daten zu Unternehmenskunden von Banken für die ESG-Kriterien zu extrahieren.
Die gute Nachricht: Bisherige Analysen deuten darauf hin, dass nachhaltige Anlagen auch profitablere Anlagen sind. ESG betrachten wir bei zeb daher nicht als Last, sondern als Chance - auch und vor allem für ein neues Geschäfts- und Betriebsmodell.
Wir fokussieren auf wenige, aber entscheidende Kriterien, behalten die Ertragsorientierung im Blick und zeigen damit unseren Kunden echte Mehrwerte auf.
Eines ist dabei völlig klar: Nachhaltigkeit ist nicht einfach ein neuer Trend, sondern das hoffentlich sehr bald eintretende New Normal unserer Zeit und Zukunft.